23 Juni, 2015

"Ein Ruhetag ist ein Ruhetag" (Letty) und das Ende der Tour

Dienstag, 23. Juni, Tag 19
Gefahrene km ( Stadtrundfahrt und Fahrt zum Raadi-See 15 km)
Gesamtkilometer immernoch 1.860

Wie ich es angekündigt hatte, blieb ich am Vormittag brav auf dem Bett liegen und schonte mein linkes Bein. Ich habe auch eine Mütze voll Schlaf genommen und mir kürzere als die von mir geplante Strecke bis Tallinn angesehen. 190 km statt der geplanten 400 km am Peipussee entlang wären eine Alternative.
Dann machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Dazu musste ich etwa 4 km mit dem Rad rollen und war mitten im Zentrum.
Auf dem Weg dorthin kam ich an einer offenen Apotheke vorbei und kaufte mir eine vernünftige Bandage für Knie und Oberschenkel.
In der Nähe vom City-Center bereitete sich eine Formation aus Soldaten, Frauen in Uniform (die sahen aus wie von der Heilsarmee) und uniformierten Kindern auf einen Umzug zum Raekoja Plats vor. Dort befindet sich auch das Rathaus und die Skulptur der sich küssenden Studenten.
Dann wurden ewig lange Reden gehalten und ab und zu wurden einige
der Teilnehmer nach vorn gerufen. Ich nehme an, dass sie ausgezeichnet wurden. Ich fand einen Platz in einer Straßengaststätte direkt in der ersten Reihe und mit Blick aufs Rathaus und das gesamte Geschehen und konnte so nebenbei was essen.
Auf einmal lauter Motorenlärm von vielen Motorrädern, die einen Jeep eskortierten. Im Jeep wurde eine Fackel gehalten und am Rathaus übergeben. Ein Mann und 2 uniformierte Frauen verschwanden damit im Rathaus. Ich kann das alles hier nur wiedergeben, wie ich es gesehen haben. Der Kreis schließt sich für mich am Abend, als wieder 2 Frauen in Uniform mit dieser (?) Fackel am Raadi-See das Feuer zur Johannisnacht entzündeten. Von dieser Feier hatte ich mir etwas mehr versprochen. Eigentlich war es ein Rockkonzert auf der Bühne mit Lagerfeuer, Imbissbuden und Karussells für die Kinder. Gegen 23 Uhr bin ich gegangen und mit dem Rad zurück gefahren.
Ansonsten habe ich vom Rad aus das nicht sehr große Zentrum erkundet, was natürlich durch die geschlossenen Geschäfte wegen des Feiertages kaum Atmosphäre ausstrahlte.
Ich werde aber noch genug Gelegenheit haben, mir Tartu anzuschauen und in das von Detlef vorgeschlagene Nationalmuseum zu gehen, denn die Radtour "Per Rad ins Baltikum" ist hier in Tartu beendet.
Ich habe das schon bei den ersten Metern auf dem Weg in die Stadt und dann zum See gemerkt, so schaffe ich keine 200 km, auch nicht mit 50 km am Tag Ganz zu schweigen von meinem ursprünglichen Plan, eine Route entlang des Peipussees zu fahren.
Mir ist diese Entscheidung unheimlich schwer gefallen, 200 km vor dem Ziel vom Rad zu steigen und ich bin sehr traurig und enttäuscht darüber. Das wisst ihr sicher alle. Aber enttäuscht von wem und wovon? Es war eine erlebnisreiche, tolle, ja auch anstrengende und spannende Tour bis hierher. Das kann mir keiner nehmen.
Und trotzdem, der Traum von der Tour bis nach Tallinn mit dem Rad zu fahren, ist nicht in Erfüllung gegangen.
Wenn du auf den Mount Everest rauf willst und kehrst 800 m vor dem Gipfel um, dann fehlen dir diese 10% wie mir jetzt und du kannst niemals sagen, dass du drauf gewesen bist. Das Gipfelbuch liegt nur ganz oben.
Vielleicht habe ich meinem Körper zuviel zugemutet und zugetraut. Auch das muss ich akzeptieren. Am Willen und an der Kraft hat es nicht gelegen. Die Software war sozusagen in Ordnung, nur die Hardware ist veraltet.
Als ich mich aus Polen bei meinen Eltern meldete, die sich um mich große Sorgen machten, sagte mein Vater zu mir: "Junge, und wenn es nicht mehr geht, musst du auch den Mumm haben aufzuhören." Recht hat er gehabt, aber das fiel schwer zu tun.
Eine vernünftige Entscheidung zu treffen und den Mut zu haben gegen sich selbst entscheiden zu müssen, das musste ich heute neu lernen.
Ich bleibe noch 1-2 Tage in Tartu, fahre dann mit Bus oder Bahn nach Tallinn und werde mich riesig freuen, wenn Antje am 27. dort einfliegt.
Der Baltikumradler verabschiedet sich nun von allen bekannten und unbekannten Mitlesern.
Viele Dank an Antje, die Familie, Nachbarn und Freunde dafür, dass Ihr in Gedanken immer bei mir ward.
Und vielen Dank an Kerstin und Heinz, die dafür sorgten, dass die wichtigsten Arbeiten im Büro erledigt wurden.
Der Blog hat somit seinen Zweck erfüllt und kann geschlossen werden.

18 Kommentare:

Antje hat gesagt…

Danke, dass du den Mumm hättest aufzuhören!
Ich freu mich sehr darauf, dich wiederzusehen.
Bis Sonnabend geht es deinem Bein hoffentlich besser!
Liebe Grüße von deiner sich ständig Sorgen machenden Frau, die jetzt ein bisschen beruhigter ist:-)

lettyvanandel@gmail.com hat gesagt…

Liebe Dietmar,
Mut ist auch ein sehr grosse Kraft. Und ich hoffe noch viele Jahren zusammen spass zu haben. Ein wichtige Entscheidung, aber ich bin so stolz auf dir.....
Geniess..... von der letzte Tagen

Jule hat gesagt…

Ich kann deine Enttäuschung nachvollziehen und auch ich bin ein bißchen traurig. Ich hätte mich so mit dir gefreut, wenn du es geschafft hättest.
ABER: Ich bin soooo stolz auf dich! Du bist 1860km mit dem Rad gefahren, durschnittlich 116,25 km am Tag. Du hast dich durch einen Teil Europas gekämpft, wo es dringendere Nöte gibt als sechsspurig ausgebaute Autobahnen oder Bushaltestellen mit WLAN-Anschluss.
Vielleicht bleiben rücksichtlose Autofahrer, Schotterpisten, Schmerzen und ein zu frühes Ende in Erinnerung. Doch die viel stärker wirst du dich erinnern an DEINE einsamen Landstraßen, die schönen Landschaften und die herzlichen Begegnungen mit den Menschen.
Ich bin stolz auf dich, deine Leistung und deine mutige Entscheidung!

Jule hat gesagt…

Mir fällt gerade ein, dass dein Vergleich mit dem Mont Everest hinkt.
Ich finde, es ist mehr wie bei "Wer wird Millionär?". Du hast die 1-Million-Euro-Frage gestellt bekommen, hast alle Joker ausgeschöpft und dich dann entschlossen die halbe Million mit nach Hause zu nehmen. Das ist so viel mehr als gar nichts!

Antje hat gesagt…

Jule, das ist ein toller Vergleich, ich wusste nicht, wie ich es beschreibt en soll, dass das mit dem Mount Everest nicht stimmt!

Unknown hat gesagt…

Lieber Dietmar, wir haben mit Dir mitgefiebert und finden es toll was Du geleistet hast,wir ziehen den Hut vor Dir. Für die weiteren Tage toi,toi,toi und auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen. Liebe Grüsse von Detlev Siegel

Unknown hat gesagt…

Hallo Dietmar,
auch ich bin froh, dass du den Mut hast die Tour so kurz vor dem Ziel zu beenden.

"Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast. "

(Marc Aurel)

Und du hast in den letzten Wochen mehr gesehen, geleistet, er-und durchlebt,
als ich und viele andere deiner "Leser".

Sieh das Positive: du kannst dir jetzt in Ruhe die Stadt ansehen.

Noch viele schöne Eindrücke und einen erholsamen Urlaub.

Chapeau!!!!
LG B.

Detlef hat gesagt…

Von Brandenburg ins Baltikum zu radeln und es "nur" bis Tartu "geschafft" zu haben - ich glaube da kommt wohl nur bei dir etwas Missstimmung auf. Alle anderen zieht respektvoll den Hut - ich eingeschlossen.
Wenns in Tartu langweilig wird:
Der oder besser die Friedhöfe sind ein Besuch wert. Dort bist du auf dem Weg zum Raadi See vorbei gekommen.
Naja und wenns unbedingt der Peipussee sein muss, ich glaube es fahren regelmäßig Busse nach Kallaste und Mustvee (vom zentralen Busbahnhof - früh hin abends zurück). Das würde ich aber nur bei schönem Wetter machen.
Übrigens die Festivitäten in Estland sind allgemein gewöhnungsbedürftig - zu Feiern verstehen die Esten aber das "Gehabe" ist schwer verständlich. Wir waren mal zum Semesterende in Tartu, da sind die Seminargruppen kostümiert in allen möglichen schwimmenden Objekten über die Emajögi gerudert. Den Preis hat der gewonnen, der am lustigsten untergegangen ist...
Genieße die Zeit, bald hat auch dich der Alltag wieder.

Viele Grüße
Detlef

Manfred hat gesagt…

Hallo dietmar,
Schade, aber respekt zu sagen: ich hör hier auf.

Für mich bist du Tagessieger, Etappensieger und Gesamtsieger!!!

genieß die zeit und freu dich auf ein wiedersehen mit antje.

Ich freu mich drauf dich heile und gesund wieder in der nachbarschaft zu haben.

manfred von der leitplanke.

ps das mit dem friedhof lass lieber sein.....

Steffi hat gesagt…

Hallo Papa,
mir stehen die Tränen in den Augen. Ich kann es so gut nachvollziehen, wie schwer dir die Entscheidung fällt. Gerade auch, weil die Erinnerung an ein Gespräch zwischen uns mir noch so präsent ist, in dem du sagtest, dass du an deine Grenzen gehen möchtest. Und nun ist genau das eingetreten. Grenze erreicht. Ich bin so stolz und froh, dass du dein Ziel vorverlegst, dass du die Grenze nicht überschreitest und dass du auf deinen Körper hörst. Und ich finde total unglaublich, was du geleistet hast. Du hast das Baltikum mit dem Fahrrad erreicht! Estland! Dann ist es eben Tartu und nicht Tallinn. Das ist doch total wurscht. Ein Held bist du trotzdem! Ein Baltikumradler! Du kannst wirklich stolz auf dich sein! Ich bin es.

Und dass du jeden Abend diesen Blog hier für uns und für dich geschrieben hast, dafür noch einmal ein extra Dankeschön! Das war für uns alle ganz toll, so nah dabei zu sein.

Ich wünsch dir ein paar schöne Tage! Genieß es auch irgendwie! Und wie Jule ganz toll schrieb: Du bist der Gewinner! Ich hoffe, irgendwann kannst du das auch so sehen.
Ich drück dich und freu mich, wenn wir uns wiedersehen! Deine Steffi

Sybilla Kalweit hat gesagt…

Tja Dietmar,
was bleibt mir da noch zu sagen?
ich kann mich nur allem Gesagten an schliessen, aber trotzdem wurmt es einen, wenn man so kurz vor dem gesteckten Ziel aufgeben muss.
Wir waren die ganze Zeit bei Dir, haben die Planung mitbekommen(beinahe wären wir ja dabei gewesen, allerdings motorisiert), Antjes Ängste und Sorgen, Deine Freude und Neugier und nun sind wir mit Dir traurig.
Wir freuen uns auf Dich in der Nerzfarm!!
Baltikum ist Baltikum - Du Radler
GLG Sybilla

Unknown hat gesagt…

Mein lieber Bruder,

mit großer Hochachtung haben wir bis hierher deine Tour verfolgt und sind immer noch platt, was Du hier geleistet hast. Du bist an Deine körperlichen Grenzen gegangen und das zollt uns höchsten Respekt ab. Das Du Dein selbst gestecktes Ziel "angeblich" nicht erreicht hast, zeigt doch nur einmal mehr, was für ein Pfundskerl Du bist. Ich kann hier nur allen zustimmen, die hier festtstellen, dass Du schon längst das Ziel erreicht hast. Du hast Deine Grenzen ausgelotet und erreicht, nochmals Respekt. Bist eben mein großer Bruder und nicht nur ein großer Denker sondern in allem auch immer wieder ein Perfektionist. Ich bin stolz darauf, so einen Bruder zu haben und wünsche Dir weiterhin immer viel Erfolg und Glück bei Deinen nächsten Vorhaben. Jetzt verlebe erst einmal noch ein paar schöne Tage in Tallin und lecke die Wunden.

Ganz liebe Grüße von Silke und mir und auch wenn wir uns nicht so oft sehen, sollst Du wissen, dass wir sehr oft an Dich denken und im Gedanken bei Dir und Deiner Familie sind.

Wir wünschen Dir und Antje noch einen schönen Urlaub und drücken Dich gaaaaaanz doll.

Anne hat gesagt…

Ach, Papa, mein Held, mir geht's wie Steffi: ich lese diesen nun emotionalsten Eintrag von dir und muss Tränchen verdrücken. Zum Einen weil ich sehr erleichtert bin, dass du dieses Abenteuer mehr oder weniger heil überstanden hast und zum Anderen weil ich mir das so gut vorstellen kannst, wie du innerlich mit dir gerungen haben musst, diese Entscheidung zu fällen.
Ich bin so unglaublich stolz auf deinen Mut, dich tatsächlich aufs Rad zu schwingen und bis ins Baltikum zu fahren! Und dieses Ziel hast du erreicht! wundervolle Erfahrungen gemacht und beeindruckende Landschaften gesehen.

Wenn du neben deinen mickrigen 10% noch mehr Zahlen als Bilanz für deine Reise brauchst:

90% Glück mit dem Wetter
95% gutes Essen
100% Gastfreundschaft erfahren
150% Unterstützung aus der Heimat (und darüber hinaus)

Hättest du dir das je erträumen lassen?

Und immerhin ist so das T-Shirt wenigstens vom Abfahrts- UND vom Zielort ein bisschen geschummelt ;) bist du doch auch in ferch nicht losgefahren :-P

Was würde ich jetzt dafür geben, in Tartu auf Kneipentour mit dir zu gehen und mir die Abenteuer eines Weitgereisten anzuhören! Ich freue mich schon sehr auf deine Bilder und Erzählungen.

Lass dich gut pflegen von der lieben Dame und dann hab anschließend einen tollen Urlaub mit Mama!
Wir sehen uns zuhause!

Ich drück dich
Deine Anne

Kalle hat gesagt…

Guten Morgen Dietmar,

auch von uns viele Grüße und vor allem beste Glückwünsche zu Deiner tollen Leistung. Es wird für dich bestimmt immer ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Wir freuen uns schon auf Deine persönlichen Berichte und Fotos. Also...Toi Toi Toi, erhole Dich gut, noch ein paar schöne Tage im Baltikum und dann eine gute Rückkehr.

Moni und Kalle aus Lu.

Kalle hat gesagt…

Fällt mir grad so ein:

Die Knochen tun weh, die Socken stinken,
es wird Zeit, einen Mochito zu trinken.....

Bis bald Kalle

Eric hat gesagt…

Es braucht Mut auf zu hören wenn es nicht mehr geht....

Du bist sehr Weit gekommen, sei Stolz darauf!

DocDidi hat gesagt…

Ich danke euch allen für die berührenden Kommentare. Ihr habt mir alle sehr geholfen, die Enttäuschung über den Abbruch der Tour 200 km vor dem Ziel zu überwinden. Dafür danke ich euch von ganzem Herzen.
Inzwischen bin ich schon seit 2 Tagen in Tallinn und genieße die Stadt. Das Baltikum ist so wunderbar und interessant, dass es sich lohnt, erneut hierher zu kommen. Seht es euch selbst an. Mit herzlichen Grüßen, euer Baltikumradler Dietmar.

Unknown hat gesagt…

Hallo Baltikumradler, ich möchte mich hier jedem einzelnen Kommentar anschließen, auch wenn du wahrscheinlich schon lange wieder daheim bist. Es ist schön zu sehen, wieviel Mount Everest in der Familie und deinem Freundeskreis steckt. Echt toll. Deine Tour und der Blog weckt den Mut für eigene Abenteuer und macht Lust auf das Leben. Danke dafür. Anna und ich würden uns freuen, wenn wir dieses Jahr mal auf ein, zwei...Bierchen zusammen kommen. Liebe Grüße und nochmal Respekt!!!